Die Spätantike als Rezeptionsepoche. Rezeption einer rezipierenden Epoche

Die Spätantike als Rezeptionsepoche. Rezeption einer rezipierenden Epoche

Organisatoren
Jan Meister / Cristina Murer / Seraina Ruprecht, Universität Bern
PLZ
3012
Ort
Bern
Land
Switzerland
Fand statt
In Präsenz
Vom - Bis
07.04.2022 - 09.04.2022
Von
Christoph Begass, Universität Mannheim

Die Tagung widmete sich anlässlich des 60. Geburtstags Stefan Rebenichs aktuellen Forschungen zu Spätantike und Rezeption. War durch die coronabedingten Einschränkungen eine solche Feier 2021 nicht möglich, konnte sie nun, organisiert durch Jan Meister, Cristina Murer und Seraina Ruprecht, in Bern nachgeholt werden. Die Keynote-Lecture, in der PETER HEATHER (London) einen Ausblick auf sein im Entstehen begriffenes neues Buch über Konstantin den Großen und die ,Romanisierung‘ des Christentums gab, wurde daher begleitet von einem Rückblick auf das Wirken des Geehrten durch seinen Kollegen THOMAS SPÄTH (Bern).

Die erste Sektion, die sich über die ersten beiden Tage und insgesamt sieben Vorträge erstreckte, widmete sich der Rezeption älterer antiker Traditionen in der Spätantike. BRUNO BLECKMANN (Düsseldorf) und HARTWIN BRANDT (Bamberg) konzentrierten sich auf Kontinuitätslinien, Brüche und Neuerungen in der spätantiken Historiographie. In den Diskussionen, denen während der gesamten Veranstaltungen erfreulich viel Raum eingeräumt wurde, wurde deutlich, dass in der Historiographie die Spätantike keinesfalls eine eigene Epoche darstellt, da – trotz der zunehmenden Dominanz bestimmter Genres wie der Chronik oder der Epitome – vor allem Kontinuitäten vorherrschten. Den zweiten Tag eröffnete SEBASTIAN SCHMIDT-HOFNER (Tübingen), der zeigte, wie das Bild der Juristen-Magistrate der Kaiserzeit in der Spätantike durch Autoren wie Lydos aufgegriffen wurde, um Teilhabeansprüche der Magistrate an der Herrschaft zu untermauern, während Justinian den Kaiser als Zentrum des Rechts proklamierte. War Freundschaft zu allen Zeiten der Antike ein wichtiges Motiv in der Briefliteratur, zeigte SERAINA RUPRECHT (Bern), wie dieses Konzept durch christliche Autoren so umgedeutet wurde, dass unter einem „Freund“ zunehmend eine Person verstanden wurde, die die gleichen religiösen Ansichten teilte. Mit dem Gebrauch der Antonius-Vita des Athanasius durch Hieronymus widmete sich JAN BREMMER (Groningen) der Rezeption eines spätantiken Werkes in der Spätantike. Die veränderten soziopolitischen Rahmenbedingungen hätten dazu geführt, dass nicht mehr Märtyrer, sondern zunehmend Asketen eine Vorbildfunktion für Christen darstellten. Die unterschiedlichen Rezeptionsweisen eines paganen Autors wie Menander im christlichen Kontext arbeitete HARTMUT LEPPIN (Frankfurt am Main) heraus, indem er anhand zweier syrischer Sprüchesammlungen zeigte, wie Menander nunmehr als „Weiser“, nicht mehr als Komödiendichter wahrgenommen wurde und so als Sittenlehrer im Kloster dienen konnte. CRISTINA MURER (Bern) zeigte am Beispiel Ostias, dass die Verwendung antiker Spolien in spätantiken Gebäuden zum einen durch lokale Verfügbarkeit bestimmt, zum anderen durch veränderte ästhetische Normen geprägt war, deren Verständnis eine angemessene Einordung der spätantiken Spolierungspraktiken voraussetzt.

Am dritten Tagungstag untersuchte die zweite Sektion die Spätantike als „rezipierte Epoche“. Zu Beginn analysierte MISCHA MEIER (Tübingen) den Ursprung der besonderen Bedeutung Attilas für die venezianische Geschichte. Um oströmische Interessen in Norditalien zu begründen, sei der ,barbarische‘ Attila den ,römischen‘ Venezianern gegenübergestellt worden, eine Konstellation, die in Mittelalter und Renaissance immer weiter ausgeformt worden sei. Im Zentrum der Überlegungen JAN MEISTERS (Bern) stand die Interpretation spätantiker Körper durch Jacob Burckhardt, Edward Gibbon und Otto Seeck. Anders als Seeck, der die Spätantike unter Rückgriff auf die zeitgenössische Evolutionsbiologie analysierte, spätantike Körper aber kaum berücksichtigte, folgte Burckhardts Interpretation der Metapher des „Alterns“; diese sei in der Folgezeit zwar kaum aufgegriffen worden, böte aber dennoch Potential für eine stimmige Gesamtschau der Spätantike. Im Anschluss daran analysierte JOHN WEISWEILER (Cambridge) zunächst die Selbstwahrnehmung spätantiker Senatoren im Westen, die er mit der modernen Rezeption des Verhältnisses zwischen ,Staat‘ und Eliten kontrastierte. ARNALDO MARCONE (Rom) zeichnete die Diskussion zwischen Erik Peterson und Carl Schmitt über die (Un-)Möglichkeit einer politischen Theologie nach, die der Theologe und der Jurist, ausgehend von Eusebius, über Jahrzehnte geführt haben. Im letzten Vortrag der Tagung zeigte WOLFRAM KINZIG (Bonn), dass Hieronymus, dem Stefan Rebenichs Dissertation galt, in den Schriften der Päpste Benedikt XV., Benedikt XVI. und Franziskus generell keine prominente Rolle spielt, der Kirchenvater aber durchaus in bestimmten Zusammenhängen für kirchenpolitische Zwecke instrumentalisiert wurde.

Die zwei Abschlussdiskussionen, die am zweiten Abend von JOHANNES WIENAND (Braunschweig), am dritten Abend von STEFAN REBENICH geleitet wurden, kreisten um die Frage, inwieweit das Aufgreifen älterer Traditionen – ähnlich wie die Betonung religiöser Differenzen – ein für die Spätantike genuines Merkmal darstelle oder ob dies nicht auch für andere Bereiche der Antike festzustellen sei. Neben wichtigen Fachvorträgen, die sich in der Summe zu einem stimmigen Ganzen fügten, bot die Tagung einen würdigen Rahmen, um Stefan Rebenichs bisherige Arbeiten zu würdigen und zugleich, wie es der Jubilar selbst zusammenfasste, die „Dialektik der Spätantike als rezipierender und rezipierter Epoche“ herauszustellen.

Konferenzübersicht:

Jan Meister (Bern) / Cristina Murer (Bern) / Seraina Ruprecht (Bern): Begrüßung

Sektion I: Spätantike als rezipierende Epoche
Chair: Jonas Borsch (Bern)

Bruno Bleckmann (Düsseldorf): Die Spätantike als Epoche der Geschichte der antiken Historiographie: Kontinuitäten und Brüche

Hartwin Brandt (Bamberg): Zeit- und Epochenbewusstsein bei Zosimus?

Keynote Lecture

Peter Heather (King’s College London): Constantine's Conversion and the Romanisation of Christianity

Sektion I: Spätantike als rezipierende Epoche (Fortsetzung)
Chair: Sarah O’Leary-Bühler (Tübingen/Bern)

Sebastian Schmidt-Hofner (Tübingen): Das Bild der römischen Rechtsgeschichte in der Spätantike

Seraina Ruprecht (Bern): Christliche Freundschaftskonzepte zwischen Tradition und Transformation

Chair: Lena-Sophie Margelisch (Bern)

Jan Bremmer (Groningen): The Reception of Athanasius' Antony in Jerome's Life of Hilarion

Hartmut Leppin (Frankfurt): Menander im Kloster – Zu den syrischen Sententiae Menandri

Chair: Johannes Wienand (Braunschweig)

Cristina Murer (Bern): Umgeben von Spolien: Wohnen im spätantiken Ostia

Plenumsdiskussion und Zwischenbilanz: Die Spätantike als rezipierende Epoche

Sektion II: Spätantike als rezipierte Epoche
Chair: Christoph Begass (Mannheim)

Mischa Meier (Tübingen): Attila in Venedig

Hans-Ulrich Wiemer (Erlangen-Nürnberg): „Völkerwanderung“ und „Deutsches Altertum“: Johann Jacob Mascov über die spätantiken Ursprünge des deutschen Volkes (entfallen)

Jan Meister (Bern): „In den meisten Bildnissen dieser Zeit herrscht teils eine natürliche Hässlichkeit...“ – Neuzeitliche Rezeptionen spätantiker Körper

Chair: Ginny Wheeler (Bern)

John Weisweiler (Cambridge): Republikanismus, Monarchismus und Aristokratie zwischen Spätantike und Spätmoderne

Arnaldo Marcone (Rom): Tra Peterson e Schmitt. Il problema della liquidazione della teologia politica nella Tarda Antichità

Wolfram Kinzig (Bonn): „In sua magnanimitate ac suavitate“. Hieronymus im Denken der Päpste Benedikt XV., Benedikt XVI. und Franziskus

Stefan Rebenich (Bern): Tagungsbilanz und Abschlussdiskussion

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Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
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